
In der von der Europäischen Kommission (EK) am 19. Mai veröffentlichten Frühjahrsprognose wird für 2025 ein reales BIP-Wachstum von 1,1% in der EU und 0,9% in der Eurozone prognostiziert. Im Vergleich zur Herbstprognose 2024 stellt dies eine erhebliche Herabstufung des Wirtschaftswachstums dar, die hauptsächlich auf die durch die erratische US-Handelspolitik verursachten Unsicherheiten zurückzuführen ist.
Positiv sieht die Kommission die Entwicklung anderer Wirtschaftsindikatoren. Die EK prognostiziert eine weitere Verminderung der Inflation, diese wird auch rascher voranschreiten als erwartet. Die Gesamtinflation in der Eurozone dürfte von 2,4% im Jahr 2024 auf durchschnittlich 2,1% im Jahr 2025 zurückgehen. Als Ursachen für diesen Trend sieht die Kommission deutlich niedrigere Energierohstoffpreise. Auch wirkt der mit dem Abbau der Handelsbeziehungen zwischen den USA und China einhergehende Wettbewerbsdruck auf Industrieprodukte in der EU preisdämpfend.
Die Arbeitslosenquote in der EU soll den Projektionen zufolge von 5.9% auf ein neues historisches Tief von 5,7% im Jahr 2026 sinken. Auch die Reallohnentwicklung sieht die Kommission positiv: 2025 dürften die Reallöhne in der EU die seit Mitte 2021 aufgetretenen Kaufkraftverluste vollständig wettmachen.
Für die Entwicklung des Budgetdefizits prognostiziert die EK eine stabile Entwicklung. Nach einem Rückgang auf 3,2% des BIP im Jahr 2024 dürfte das gesamtstaatliche Defizit der EU 2025 und 2026 um mehr als 0,1 Prozentpunkte jeweils nur geringfügig ansteigen.
Zur gleichen Zeit hat die EK eine Analyse der makroökonomischen Auswirkungen der US-Zollpolitik vorgestellt. Das BIP der EU würde sich in den nächsten 3 Jahren zwischen 0.2% bis 0.4% reduzieren (einseitige US-Zollerhöhung, bzw. vergleichbare Vergeltungsmaßnahmen aller US-Handelspartner). Wenn dies auch keine dramatischen Auswirkungen sind, sind sie im Zusammenhang mit einer weiterhin schwächelnden europäischen Wirtschaft und nachhaltigen geopolitische Spannungen doch beunruhigend. Diese Effekte sind in der Fruehjahrsprognose jedoch noch nicht berücksichtigt.
Ebenso sind die erwartbaren erhöhten Verteidigungsausgaben, die unter anderem durch fiskalische Flexibilität erreicht werden soll, in diese Prognose noch nicht eingeflossen. Sehen wir uns deshalb im Folgenden etwas genauer die Effekte wachsender Ausgaben an: Eine von der Kommission durchgeführten Modellrechnung schätzt die Auswirkungen eines Anstiegs der Verteidigungsausgaben von 1.9% in 2025 um bis zu 1,5% des BIP bis 2028 auf die Wirtschaftstätigkeit und den öffentlichen Schuldenstand der EU ab (der so resultierende Anteil der Militärausgaben am BIP liegt trotzend noch wesentlich unter den von der NATO angestrebten 5%). Das Model zeigt, dass das BIP bis 2028 um 0,5% über dem ohne gesteigerten Rüstungsausgaben liegen würde und bleibt mittelfristig 0.3% über dem Basisszenario, während sich die öffentliche Schuldenquote der EU bis 2028 um 2 Prozentpunkte erhöhen würde.
Im Klartext: Das durch gestiegene Verteidigungsausgaben induzierte Wirtschaftswachstum hilft die wirtschaftlichen Auswirkungen der Einschränkung des Welthandels zu kompensieren. Dies ist eine bis vor kurzem in europäischen wirtschaftspolitischen Kreisen undenkbare, ja unaussprechbare Schlussfolgerung. Da die gestiegenen Rüstungsausgaben nicht nur durch Schulden, sondern auch durch Sparmaßnahmen in anderen Bereichen zu finanzieren sind, wird – nochmals Klartext – jeder diese Ausgaben in seiner Geldbörse spüren.
Interessant ist es in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass Österreich betreffend seiner Verteidigungsausgeben an 4-letzter Stelle liegt, vor Irland, Malta und Luxemburg. Wohlgemerkt, die beiden ehemals neutralen Staaten Schweden und Finnland liegen im oberen Mittelfeld! Eine strategisch gewünschte Erhöhung der Rüstungsausgaben würde also in Österreich noch tiefgreifendere Auswirkungen auf die Kaufkraft haben, fiskalische Spielräume gibt es ja mittelfristig nicht.
Anfang Juni stellte die Kommission ihre Länderberichte im Rahmen des Europäischen Semesters vor. Das Urteil ist klar: Österreich ist nun im dritten Jahr in einer Rezession. Die EK sieht unter anderem die Gründe dafür in zu niedrigen Investitionen, einer geringen Nachfrage und rückläufigen Exporten, die durch geopolitische Spannungen verschärft wurden, und in hohen Energiepreisen. Mit einem negativen Wirtschaftswachstum in 2025 liegt Österreich in der EU an letzter Stelle. Erschwerend kommt hinzu, dass das Budgetdefizit trotz Konsolidierungsversuche nachhaltig hoch bleiben wird. Für die Jahre 2025 und 2026 wird ein gesamtstaatliches Defizit von 4,4 % bzw. 4,2 % prognostiziert. Dies wird zu einem Defizitverfahren führen, und es ist zu vermuten, dass dieses den notwendigen Investitionsspielraum weiter einschränken wird. Nur im Bereich der Beschäftigung liegt Österreich im Mittelfeld. Bildet man ausgehend von den von der Kommission veröffentlichen Indikatoren einen aggregierten Indikator aus Budgetdefizit, Wirtschaftswachstum, Inflation und Beschäftigung, ist das Ergebnis niederschmetternd: Insgesamt ist Österreich Schlusslicht der Eurozone und liegt in der EU an vorletzter Stelle, nur vor Rumänien.
Leider lassen sich im Regierungsprogramm der neuen Bundesregierung nur wenig konkrete Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft erkennen. Ein Vergleich mit Deutschland lohnt sich. Angesichts einer auch 2025 stagnierenden Wirtschaft hat die neue Bundesregierung schon vor ihrem Amtsantritt eine entscheidende Weichenstellung vorgenommen. Sicherlich kann man darüber diskutieren ob es demokratiepolitisch elegant ist mit Mehrheiten des alten Bundestages Schulden in der Höhe der gesamten jährlichen Wirtschaftskraft aufzunehmen und damit zukünftige Generationen zu belasten. Außer Streit steht jedoch, dass die Schwerpunkte des 500 Mrd. € Paketes die richtigen sind: Investitionen in Infrastruktur, Verkehr, Digitalisierung…. Hinzu kommen noch etwa 400 Mrd. € für das Militär.
Wo sind vergleichbare Maßnahmen in Österreich zu finden, wo werden Impulse gesetzt? Ein mit Deutschland vergleichbares massives Investitionsprogramm ist im Lichte der angespannten Budgetsituation weder geplant noch möglich. Ein zweifelsohne notwendiger Bürokratieabbau und andere nicht finanzielle Maßnahmen alleine won‘t do the trick. Investitionen in zukunftsorientierte und strategische Bereiche, z.B. KI und Pharmaindustrie, müssen vorangetrieben werden, auch wenn dies unter den gegenwärtigen budgetären Rahmenbedingungen eine Mammutaufgabe ist. Maßnahmen zur Senkung der industriellen Energiepreise, Förderung von Forschung und Innovation sind unumgänglich. Vielleicht ist es deshalb an der Zeit, sich von heiligen Kühen, wie der Landwirtschafts- und Tourismusförderung, etwas loszusagen. Und sicherlich ist es auch an der Zeit sich verstärkt auf die noch bestehende industrielle Basis zu besinnen und diese in den notwendigen Adaptierungsprozessen tatkräftigst zu unterstützen. Tabus sollte es keine geben. Angesichts der geopolitischen Entwicklungen der jüngsten Zeit und der erwartbaren Investitionsschübe sollte etwa der militärische Bereich wiederbelebt werden. Dieser was ja in der Vergangenheit eine Stärke der heimischen Industrie. Auch bieten sich gerade in dieser Sparte sicherlich profitable internationale, und besonders europäische, Kooperationen an.
Robustes Auftreten von Österreich ist gefragt, auch auf EU-Ebene. Dazu bietet sich bei den im Juli beginnenden Verhandlungen des mehrjährigen Finanzrahmens 2028-34 Gelegenheit. Aus österreichischer Sicht sollte sicherlich nicht eine Reduktion der Beitragszahlungen im Vordergrund stehen – eine durch EU-Gelder geförderte Industrie ist ein wirtschaftlicher Motor, gerade auch für Österreich. Deshalb ist der Fokus nicht auf das „Wieviel“ sondern auf das „Worauf“ and „Wie“ zu richten. Europäische Finanzmittelauf sollten auf wachstumsfördernde Bereiche konzentriert und Anreize verstärkt werden umso die europäische und österreichische Industrie international wieder wettbewerbsfähig zu machen. Infrastruktur, Forschung, Innovation und Ausbildung sollten wesentlich gezielter gefördert, der Abfluss der Fördergelder massiv beschleunigt und oftmals hemmende Ideologie weiter hintangehalten werden.
Erich Unterwurzacher
Austrian Senior Expert
Austrian Senior Expert Erich Unterwurzacher war einen Großteil seiner beruflichen Laufbahn in internationalen Organisationen tätig, u. a. bei der OECED und mehr als 20 Jahre in der EU-Kommission.