Geopolitische Rahmenbedingungen haben sich in den letzten fünf Jahrzehnten grundlegend verändert, ebenso die Herausforderungen für eine gesicherte Energieversorgung.
Ein Blick zurück zeigt uns das deutlich. Die durch das OPEC-Embargo in den 1970er Jahren verursachten Ölpreissteigerungen führten zu schweren wirtschaftlichen Schocks. Diese hatten tiefgreifende wirtschaftliche Auswirkungen und lösten Anfang der 1970er Jahre einen globalen Konjunkturabschwung aus. Sie verursachten einen Rückgang des BIP in der Europäischen Gemeinschaft um 7 % aus, ähnlich dem Rückgang nach der Finanzkrise 2008 oder in jüngerer Zeit nach Covid. Im Vergleich dazu sind die wirtschaftlichen Auswirkungen des Russlandkriegs auf die EU tatsächlich gering, nur etwa halb so stark wie während dieser früheren Schocks. Doch waren die Folgen für Länder, die stärker von Importen aus Russland abhängig waren, wie Deutschland oder Österreich, ausgeprägter und nachhaltiger.
Die Reaktionen auf die Schocks der 1970er Jahre waren entschieden und ihre Ergebnisse beeindruckend. Die Volkswirtschaften ersetzten Öl in sensiblen Sektoren, Vorsorge und Resilienz wurde verbessert, strategische Erdölreserven aufgebaut, Versorgungsquellen und -routen diversifiziert, Energieeffizienz erhöht und Inlandsproduktion massiv gesteigert.
Infolge dieser Maßnahmen veränderte sich der Energiemix grundlegend. Der Anteil von Öl und Gas an der Primärenergieversorgung in der EU-15 sank von 66 % im Jahr 1971 auf rund 56 % im Jahr 2023 (EU-27). Innerhalb der OECD stieg die Öl- und Erdgasproduktion nicht nur in Nordeuropa, sondern auch in den USA, die mittlerweile der weltweit größte Produzent sind. Gleichzeitig stieg der Anteil der Elektrizität: Zwischen Anfang der 1970er Jahre und 2023 verdoppelte sich ihr Beitrag zum Endenergieverbrauch. Strom deckt in der EU derzeit rund 23 % des Endenergiebedarfs. Der Anteil von Öl und Erdölprodukten liegt bei 37,4 % – nach wie vor beträchtlich, aber rückläufig.
Der Trend zur Elektrifizierung wird sich in den kommenden Jahren weiter beschleunigen. Ein aktueller IEA-Bericht prognostiziert, dass der globale Strombedarf trotz anhaltenden wirtschaftlichen Drucks so schnell wächst wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr. Weltweit wird die Nachfrage 2025 etwa um 3,3 % und bis 2026 um 3,7 % steigen – mehr als doppelt so schnell wie das Wachstum des gesamten Energiebedarfs im gleichen Zeitraum. In der EU wird der Stromverbrauch 2025 voraussichtlich langsamer, um etwa 1 % wachsen. Für 2026 wird jedoch eine leichte Beschleunigung erwartet, wie der Bericht zeigt. EU-Prognosen deuten auf noch höhere Wachstumsraten hin.
Nichtsdestotrotz machten sich in den letzten Jahrzehnten Sorgenlosigkeit – ja Fahrlässigkeit – breit. Grundlegende Prinzipien der Energiesicherheit wurden als obsolet angesehen. Zum Beispiel profitierten Österreich und besonders Deutschland von relativ günstigen Erdgasimporten und gerieten aufgrund geopolitischer Veränderungen in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten. Dies verdeutlicht welch Risiken einseitige Abhängigkeiten bergen.
Zweifelsohne liegen das größte Risiko und die größte Herausforderung darin, die Stromversorgung sicherzustellen. Elektrizität ist heute das Rückgrat unserer Volkswirtschaften, ähnlich wie Öl im letzten Jahrhundert. Praktisch alle Bereiche des täglichen Lebens sind vom Strom abhängig: Mobilität und Kommunikation, Gesundheitswesen und Landwirtschaft, Heizung, Sicherheit und Verteidigung sind ohne Strom undenkbar. Die Auswirkungen neuer Technologien wie KI sind noch schwer abzuschätzen, aber sicherlich erheblich, ebenso wie Maßnahmen im Bereich der Cybersicherheit, die eng mit Strom und Elektronen verknüpft ist.
Während diese Entwicklungen stattfanden hat die EU die in den früheren Krisen gewonnenen Erkenntnisse verdrängt. So haben wir haben die Diversifizierung der Energiequellen und die Bereitstellung eines resilienten Produktionsmix vernachlässigt; das Wachstum der Stromerzeugung wird im Wesentlichen von erneuerbaren Energien dominiert, denen es an Dispatching-Kapazitäten mangelt. Investitionen in das Stromnetz und für Speicher, Flexibilität, Notstromversorgung oder Blackstartkapazitäten gerieten ins Hintertreffen. Obwohl die Versorgungssicherheit durch den Ausbau von Photovoltaikanlagen nicht unmittelbar geschwächt wird (da diese auch bei einem etwaigen Lieferstopp der chinesischsten Produzenten weiterhin Strom liefern) könnte die Abhängigkeit von Photovoltaik mittelfristig ein zusätzliches Risiko darstellen, ebenso wie die Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen. Diese sind für die Innovation und Dekarbonisierung der Stromsysteme unerlässlich.
Die Einführung von Strommarktregeln, die auf eine Welle der globalen Liberalisierung in der Energiewirtschaft folgte, erwies sich nur in Zeiten relativer Stabilität als wirksam, weniger jedoch bei Störungen. Dies haben wir gesehen, als die Mitgliedstaaten darum kämpften, die Auswirkungen von Preissteigerungen abzumildern, die größtenteils durch Versorgungsunterbrechungen im Gasbereich infolge der russischen Aggression verursacht wurden. Diese Störungen hatten erhebliche und nachhaltige Auswirkungen auf Wettbewerbsfähigkeit und Inflation, insbesondere in Österreich.
Der jüngste Stromausfall auf der Iberischen Halbinsel ist unzweifelhaft ein Warnsignal dafür, was uns bevorstehen könnte, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. Die Ursachenforschung ist noch im Laufen, allerdings hat dieser Blackout die Risiken schwacher Interkonnektivität, unzureichender interner und internationaler Verbindungen und begrenzter Netzflexibilität. Auch Managementfehler sind offenbar nicht auszuschließen. Obwohl aufgrund des Produktionsmixes Österreich vermutlich besser gerüstet ist, gibt es doch erhebliche Risiken, die sich etwa durch den europäischen Verbund und dem verstärkten Ausbau von PV und Windkraft ergeben.
Es sind enorme finanziell Anstrengungen erforderlich um die Leistungsstärke und Resilienz der Versorgungssysteme sicherzustellen und gleichzeitig verstärkt Mittel für neue Herausforderungen zu mobilisieren. EU-Mitgliedstaaten kämpfen nach wie vor mit den Auswirkungen der jüngsten Krisen auf ihre Haushalte. Sie sind angehalten Budgetdefizite reduzieren, den Wettbewerb zu steigern und ihre Verteidigungsausgaben wesentlich zu erhöhen. Bis 2030 müssen schätzungsweise 600 Mrd Euro für die Stärkung der Stromnetze bereitgestellt werden, zusätzlich zu rund 800 Mrd Euro für die EU-Verteidigungsinitiative „Readiness 2030“. Die Finanzierung der Netzinfrastruktur reicht alleine nicht aus, um die Stromsysteme sicher und widerstandsfähig zu machen. Der steigende Strombedarf muss durch die Finanzierung neuer Produktionskapazitäten gedeckt werden, auch um einen gesunden Produktionsmix sicherzustellen. Zweifellos können diese Herausforderungen nur durch die Mobilisierung öffentlicher und privater Mittel bewältigt werden, und dies unverzüglich.
In Österreich wird mit einem Investitionsvolumen bis 2030 von mindestens 28 Mrd Euro gerechnet, wovon etwa 12 Mrd Euro für Netze und deren Flexibilität vorgesehen sind. Umgerechnet auf einen jährlichen Finanzierungsbedarf entspricht dies in etwa dem Verteidigungsbudget. Sicherlich wird dies mit weiteren Strompreissteigerungen, gerade auch durch gestiegene Netzkosten einhergehen. Die Auswirkungen im sozialen Bereich und auf die Wettbewerbsfähigkeit sind nicht zu unterschätzen, umso mehr als Österreich noch immer mit hoher Inflation und niedrigstem Wirtschaftswachstum zu kämpfen hat, dies wird den fiskalen Spielraum aufgrund verminderter Steuereinnahmen weiter einschränken.
Grundsätzlich muss jedes gestärkte System Strom zu Preisen liefern, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit stärken und die Belastungen der Endverbraucher begrenzen. Dies sind die Voraussetzungen für eine sichere, zuverlässige und erschwingliche Stromversorgung.
Erich Unterwurzacher
Austrian Senior Expert
Austrian Senior Expert Erich Unterwurzacher war einen Großteil seiner beruflichen Laufbahn in internationalen Organisationen tätig, u. a. bei der OECED und mehr als 20 Jahre in der EU-Kommission.






